N – S – D 11.07.2016 Kirkenes – Oslo – Hamburg Rückreise

Gerade überfliege ich den Kopf und den Rücken des springenden Löwen. Von oben betrachtet ist dieses Land gar nicht so wild und anstrengend wie ich es auf diesen wenigen hundert Kilometern erleben durfte. Was ist geblieben?

Städte gibt es in dem Sinne wie wir sie kennen in Nordnorwegen keine. Vergleichbar sind diese Ansiedlungen mit größeren Dörfern. In der Stadt Kirkenes leben gerade mal 9000 Einwohner. In meinem Wohnort sind es mehr als doppelt soviele. 

Auf den gut ausgebauten und nur wenig befahrenen Straßen habe ich mich immer sicher gefühlt. Die unendlichen langen einöden Straßen zogen sich täglich dahin. Permanente Steigungen von bis zu 30 Metern auf 1 km raubten mir mehr als einmal die Kraft. Steigungen ab 3% habe ich sodann immer mit Freude geschoben. Mit dem Gewicht des Rades und dem Gepäck brachte ich gute 50 kg auf die Straße.   

 Es gibt hier keinen Müll am Straßenrand. Dafür sorgen die vielen sauberen Rastplätze mit den Toilettenanlagen. Diese werden sehr oft von den Norwegern als auch von den Wohnmobilisten aus ganz Europa genutzt. Kennzeichen aus allen Winkeln von Deutschland habe ich gesehen. Ein Ehepaar aus Aachen traf ich mehrmals. Jedesmal grüßten sie mich herzlich winkend und hupten mich schon von weitem an. 

   
 Durch die Fjorde habe ich so manches mal die Orientierung verloren. Bis du noch am Fjord oder ist das schon wieder so ein mächtiger klarer Bergsee? Die Dimension dieser Seen konnte ich mir vorher nicht vorstellen. In den Fjorden konnte ich gut die Aquakulturen der Fischindustrie wahrnehmen. In riesigen runden Schwimmnetzen werden die Fische im Wasser gezüchtet. Bei dieser Methode der Zucht greift der Mensch gar nicht mehr ein. Vollautomatisch gefüttert und mit den nötigen Medikamenten versorgt warten sie nach einem genauen Zeitplan darauf bei uns auf der Ladentheke und auf unseren Tisch zu kommen. Der Fischfang ist nicht nur für die gewerbliche Industrie ein Standbein in Norwegen. Ich behaupte einmal das ich an jedem Fjord alle 3 km einen Angler/in sehen konnte. Und das an jedem Tag der Woche. Kaum einer der Fische war leichter als 2 kg.

  
Von 10 HM bis auf 400 HM hatte ich an manchen Tag mehrmals zu bewältigen. Das ging auf die Knochen. Die Lunge habe ich mir aus dem Leib geatmet. 

  
Viele Wadenkrämpfe hatte ich auszuhalten. Gleich an den ersten Abend erwischte es mich. Ich erinnere mich ungerne zurück. Er erwischte mich beim bergaufradeln mit der vollen Breitseite und so schnell, dass ich es nicht mehr schaffte vom Rad abzusteigen. Das linke Bein war nach zwei unendlich langen Minuten krampf- und schmerzfrei. Das rechte Bein konnte ich nicht über das Rad schwingen. Eine äußerst unangenehme Situation. Auch das ging vorüber. Einer Portion Magnesium im Übermaß sei Dank. 

Meine Zeltplätze, in der freien Natur oder auf privatem Gelände, waren immer idyllisch und sicher ,meist an einem Gewässer gelegen. 

  

Ich habe mein Rad kein einziges mal in der Nacht ab- oder angeschlossen. Pech hatte ich mit meinem Sattel der mir schon am ersten Tag in Tromsö kaputt ging. Eine der beiden Federn unter der Sitzfläche löste sich beim heben des Rades. Dieser Metallstift drückte durch das weiche Polster auf meinen Hintern. Am zweiten Tag war ich wund. Meine beiden Radhosen mit Polster reichten nicht aus, Abhilfe zu schaffen. Erst am dritten oder vierten Tag brachte eine Zinksalbe die nötige Linderung und Erleichterung. 

Der tägliche Zeltaufbau wurde schnell zur Routine und half beim runterfahren. Alles hat schon seinen festen Platz. 

Bei den langweiligen geraden Passagen konnte ich die Umwelt so richtig auf mich wirken lassen. So mancher nicht gewollter Stop war dem Panorama und der Stille geschuldet. Das klare Wasser aus den zahllosen Wasserfällen nutzte ich zum trinken, auffüllen der Flaschen und zum erfrischen. Zeitweise hielt ich meinen Kopf direkt in das eiskalte Wasser. So waren die Tage mit den 27 Grad gut auszuhalten. 

  
Die Temperatur sank in der Nacht nur unmerklich ab. Um 2 Uhr waren es gerade mal 3-5 Grad weniger.

Die wirklichen gefährlichen und blutrünstigen Tiere in Norwegen sind die abertausenden von Mücken. Einfach so zu rasten ohne mit Mückenschutz eingecremt zu sein war nicht möglich. Wehe ich hatte eine Stelle am Körper vergessen. Schnell wusste ich wo diese war. Dicke Beulen schwollen sofort an. Auch der gut gemeinte Rat eines Norwegers immer einen windigen Platz zu suchen war nicht das gelbe vom Ei. Das Mückenschutz Netz über dem Helm half zwar, war jedoch bei den Essenspausen eher hinderlich. 

Ich glaube das ich in den umrundeten Fjorden und den Bergseen alle Farbnuancen in blau und grün sehen konnte. Zusammen mit den glänzenden Sonnenstrahlen auf den wiegenden Wellen bot sich mir ein unvergleichliches Bild. Diese Augenblicke bleiben mir für immer. Lange musste ich auf „Rudi das Reentier“ warten. Doch es hat sich gelohnt. Mehrmals standen diese Tiere am Ende der Tour am Straßenrand oder direkt auf der Straße und nichts brachte sie aus der Ruhe. Die Tiere haben hier Vorrang und sind hoch angesehen. Die schon langsam fahrenden Autos hielten an und warteten bis die Tiere gemächlich die Straße verlassen. Einfach mal so in den niedrigen Wald gehen ging nicht. Unter dem losen Boden auf dem felsigen Untergrund war es fast überall feucht. Das hatte ich schon in der ersten Nacht festgestellt und entsprechend bei der Zeltplatzwahl beachtet. Kontakt zu den Einheimischen hatte ich kaum. Es ergab sich durch die schwache Besiedelung nicht. In den Läden waren alle sehr aufgeschlossen und freundlich. Die Preise der Lebensmittel für den täglichen Gebrauch sind sehr hoch. Ein täglicher Einkauf belastet den Geldbeutel locker mit bis zu 20€. Dafür gibt es aber auch nur eine Cola, einen Salat, Mineralwasser, eine Wurst oder Käse, einen Saft und eine Tüte Süßigkeiten. Einen ganz besonderen Moment konnte ich in einer Nacht auf See, über dem nördlichen Halbkreis, wahrnehmen. Die Sonne neigte sich gegen zwei Uhr in der Früh im Westen dem Horizont zu. Sie ging aber nicht richtig unter. Vielmehr war sie ca 10 Minuten später im Osten wieder in der vollen Größe und Stärke aufgegangen. Diese weißen Nächte haben einen ganz besonderen Zauber. Zumal an Deck ein leichter und ca 20 Grad warmer Wind wehte.      

 Es beeindruckte mich stark, dass auf die alten Traditionen der Samen noch so stark Bezug genommen wird. Viele Tafeln zeugen von deren Existenz, ihren Lebensumständen und den alltäglichen Gewohnheiten. 

   
 
Auf der Strecke von Vadø nach Skiippagurra hatte ich sogar zwei Seeadler über mir. Ihr typisches kreischen ließen mich aufhorchen. Die weiten weißen Flügel und der weiße Kopf waren für mich das Erkennungszeichen. Was habe ich auf dieser Reise nicht gebraucht? Es waren meine Winterkleidung, meine Stirnlampe, mein Teevorrat und meine Thermoskanne. Des Weiteren die überaus einschüchternden, lauten, kalten, feuchten und dunklen Straßen Durch- und Unterführungen. Ein ebener, über dem Meer geführter Tunnel ist ja für Radler schon spannend. Zumal als Radstreifen gerade mal 70 cm für einen Radler zur Verfügung stehen. Das traf für die Unterführungen zu, die für Radler erlaubt, als auch für jene die für Radler nicht erlaubt waren. ??

Mein einziger und wohl auch letzter Tunnel der mich auf fast 2500 m länge 200 Meter unter dem Fjord führte gab mir den Rest. An diesem und am Vortag hatte ich schon einige ebene Tunnel passiert. Dieser jedoch plötzlich auftauchende Höllenschlund gab mir keine Chance zu kneifen. Also runter in die Röhre. Da meine hintere Bremse schon gelitten hatte musste ich mit der vorderen Bremsen. Im dunklen Schlund, ohne ausreichendem Licht um auf den Tacho zu schauen und keinerlei Infos durch das Garmin (es hat in dieser Tiefe keinen Empfang) ging es zügig in die Hölle. Von vorne konnte ich herannahende Fahrzeuge gut erkennen. Von hinten war das zuerst nur durch den lauten Krach zu hören. Also Ohren auf und immer auf der Hut sein. So eine Röhre ist ja nicht gerade. Das bedeutet das irgendwo immer eine Krümmung herrscht die die Sicht in die Ferne verhindert. Sobald ein Fahrzeug kam stieg ich bei der rasanten Abfahrt ab und drückte mich an die glitschige, kalte Wand. Beim Ausfahren, an den Steigungen, schob ich so mein Rad auch die Steigung hoch. Klatsch nass war ich bei diesem Tunnel. Das helle Licht an der Ausfahrt aktiviertem meine letzte Kräfte. Ich suchte mir einen sonnigen Platz um mich aufzuwärmen und zu erhohlen. Der nächste Tunnel stand ja unmittelbar bevor. ich konnte das Schild und den Eingang schon sehen. In diesem Moment war für mich die Nordkapp Tunneldurchfahrt Geschichte.

   
 

  
 Ich suchte mir eine Fähre die mich nach dem Nordkapp Tunnel absetzte. Für mich ist der Nordkapptunnel der Ort, der einen Radfahrer der bei vollem Bewusstsein ist, auf natürlichem Wege und auf dem kürzesten Weg in die Nähe der Hölle bringen kann. Da will ich ersteinmal nicht mehr hin. Eine Engelsgeduld ist nötig die letzten 30 km zum Nordkapp hoch zu radeln. So viele Steigungen und Senken auf so kurzer Strecke sind der Hammer. Was sagt der Volksmund. „Ohne Schweiß kein Preis“. Mein Preis war sehr, sehr hoch. Doch dieser Moment wenn das stählerne Monument zum ersten mal zu sehen ist und dann nach der letzten Steigung mächtig vor einem ist, ist unvergänglich. Die Augen der umstehenden mit motorisierten Fahrzeugen angereisten Besucher streicheln mir die Seele und das Selbstbewusstsein. Ich war in diesem Moment voller Adrenalin. 

  
Norwegen gerne wieder. Dann aber mit dem Schiff der Hurtigruten oder einem Wohnmobil. 

Eine Antwort zu “N – S – D 11.07.2016 Kirkenes – Oslo – Hamburg Rückreise”

  1. Lieber Robert. ..ich habe den kompletten Trip im Netz verfolgt. ..genial und mutig das du dich immer neuen Herausforderungen stellst. .
    Wie War das noch mit dem Buch schreiben?

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