Die Nacht war erfüllt von leisen, geheimnisvollen Geräuschen, die von den Dächern des Sanitärgebäudes zu uns herabdrangen. Kaum sichtbar in der Dämmerung, doch mit einem feinen, näselnden Quieken kündigten sie sich an: Siebenschläfer. Kleine Kobolde der heimischen Wälder, deren pelzige Körper mit den buschigen Schwänzen wie lebendige Relikte einer anderen Zeit wirken. Siebenschläfer, einst von den Römern als Delikatesse geschätzt, gehören heute zu den geschützten Arten. Ihr Lebensraum sind strukturreiche Laubwälder, und sie dienen als wichtige Samenverbreiter im Ökosystem. Für Hausbesitzer jedoch sind sie mitunter unliebsame Gäste, zerfressene Dämmungen, angenagte Kabel, lärmende Geräusche unter Dachstühlen zeigen von Ihrer Anwesenheit. Nützlich? Ja. Lästig? Manchmal. Faszinierend? Immer.
In den ersten Vormittagsstunden noch ehe die Sonne endgültig Besitz vom Firmament ergriff, machten wir uns auf den Weg. Doch oh! Nicht einfach losfahren. Nein! Was heute folgte, war kein banales Aufbrechen. Es war ein heroisches Entflammen des Abenteuers, ein kraftvolles Sich-Aufrichten gegen die Schwere des Schlafes, gegen die Trägheit der frühen Stunde. Die Reifen griffen entschlossen in den noch kühlen Asphalt. Vor uns breitete sich ein Versprechen aus: der Südschwarzwald, die sanften Ausläufer der Flussauen, und dann irgendwann der Rhein.
Zunächst schien alles friedlich. Auf gut ausgebauten Radwegen glitten wir fast schwerelos dahin, begleitet vom gemächlichen Lauf der Wurzach. Wie in einem leisen Dialog flüsterte der Fluss uns Geschichten von vergangenen Hochwassern zu. Tatsächlich wird die Region rund um Bad Wurzach immer wieder von den Launen des Wassers geprüft. Statistisch betrachtet treten hier kleinere Hochwasserereignisse alle drei bis fünf Jahre auf, größere Überschwemmungen etwa alle zehn. Der Hochwasserschutzdamm, auf dem wir radelten, ist dabei wie eine schützende Hand, ausgestreckt von Ingenieurskunst und menschlicher Vorsorge.
Die Felder, die uns zur Seite standen, waren weit und goldgelb, als hätten Sonnenstrahlen selbst die Ähren geformt. Weizen, schwer von Reife, bog sich im heißen Wind, und der feine Geruch, ein Hauch von frisch gebackenem Brot, wehte in unsere Nasen. Diese feine Aromatik, ein subtiles Versprechen auf künftige Brote, Brötchen, Mehlspeisen, Bier hier beginnt alles, was wir im Alltag so selbstverständlich konsumieren. Körner für Körner, Ähre für Ähre, steht die Landschaft selbst als Produzentin unserer Grundnahrung vor uns.
Links von uns schlängelte sich die Wutach, jener Fluss, dessen Name wie ein Echo von Wildheit klingt, und doch mittlerweile gezähmt und in großen Teilen renaturiert ist. Die vielen Steine im Flussbett ein Werk menschlicher Rücksichtnahme auf die Natur bildeten kleine Schwellen und Inselchen, auf denen Enten schnatternd pausierten. Zehn Fischreiher zählten wir bis hierher. Majestätische Jäger, mit unbeweglichen Hälsen, geduldig, scharfäugig. Der Graureiher gilt als ökologisch bedeutsam, da er die Fischbestände gesund hält, indem er bevorzugt kranke und schwache Tiere erbeutet. Doch nicht alle sind Fans dieser eleganten Vögel. Besonders Teichwirte und Angler sehen in ihnen oft unliebsame Konkurrenz. In Deutschland leben derzeit etwa 100.000 bis 120.000 Brutpaare. Ihre Zahl schwankt regional je nach Lebensraumangebot.
Gegen Mittag, als die Hitze bereits gnadenlos vom Himmel presste, fanden wir Erlösung unter dem schützenden Blätterdach eines großen Baumes, direkt an der Wutach. Die Luft stand still. Nur das gelegentliche Kreischen der startenden und landenden Flugzeuge, deren Kurs mit großer Wahrscheinlichkeit Zürich-Kloten galt, durchbrach die Stille. Auf dem Thermometer leuchteten erbarmungslos 33 Grad Celsius und die Sonne, gnadenlos wie ein Antreiber aus uralten Legenden, peitschte unsere Nacken und Rücken.
Kurz darauf kam der Moment, auf den ich insgeheim seit Stunden gewartet hatte: der Blick auf den Rhein. Vor uns öffnete sich ein Panorama, so mächtig, dass selbst abgebrühte Reisende kurz verstummen. Tief unter uns, eingerahmt von sattem Grün, schlängelte sich der Strom, dunkelgrün und von träge ziehender Würde erfüllt. Ein Anblick, der Respekt einflößt. Vater Rhein, nennen ihn die Menschen, weil er Lebensader und Verkehrsweg zugleich war, Beschützer und Bedrohung, je nach Laune. Schon die Römer hatten Ehrfurcht vor ihm, und bis heute prägt er die Kulturen, Städte und Landschaften entlang seines Laufs.

Und dann wurde es wild. Die Abfahrt begann. 18 Prozent Gefälle. Jeder Meter war berauschend. Meine Finger umklammerten die Bremshebel, nicht aus Angst, sondern aus purem Respekt vor den Naturgewalten, denen wir hier für einen kurzen Moment ausgeliefert waren. Der Tacho schnellte auf 60 km/h, der Fahrtwind zerrte an den Trikots, die Straße krümmte sich in anmutigen, gefährlichen Bögen. Es war pures Leben. Ein Tanz auf dem schmalen Grat zwischen Abenteuerlust und dem gesunden Instinkt zur Selbstbewahrung. Man will schneller und weiß doch: Der Preis für ein paar zusätzliche km/h könnte sehr hoch sein.

Immer wieder tauchten am Wegesrand Schilder auf: „Kläranlage“. Welch absurde Obsession deutscher Beschilderung. Wer sucht so etwas? Welcher Wanderer sehnt sich nach dem Anblick einer Kläranlage? Wer auf Geruchssuche geht, findet ohnehin auch ohne Schild sein Ziel. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es über 9.300 kommunale Kläranlagen. Ein einzelnes Verkehrsschild kostet samt Mast, Fundament und Montage etwa 300 bis 500 Euro. Gehen wir von durchschnittlich 400 Euro pro Schild aus, läppert sich das bei mehreren tausend Anlagen zu Millionenbeträgen. Für die Summe der bundesweit vorhandenen Schilder könnte man vermutlich mehrere Kindergärten errichten. Ein Schelm, wer dabei an Prioritäten denkt.
Der Campingplatz Hohentengen erwartete uns schließlich mit offenen Armen. Direkt am Rhein, erster Reihe, der Duft von Flusswasser in der Luft. 17 Euro für zwei Personen, Zelt und Räder fast schon eine Wohltat. Als wir uns am Bistro einen mächtigen Wurstsalat teilten, fühlte sich alles für einen Moment nach Ankommen an. Der Blick aufs Wasser, das leise Gluckern, die Kinderstimmen vom Schwimmbad, das wir gratis nutzen konnten, es war eine kleine Oase nach den Strapazen des Tages.

Morgen: Frühstück mit Blick auf den Vater Rhein, dessen Name seine Bedeutung als „Lebensader“ unterstreicht seit Jahrhunderten prägte er Handel, Kultur und Politik. Unser Kaffee wird schmecken wie nie. Zürich wartet. Und ich bin froh: Sonntag. Geschäfte geschlossen. Keine Konsumhektik. Nur wir, der Fluss, und die Straße vor uns.
Heute waren es rund 50 Kilometer. Die letzten zehn mit ihren kräftezehrenden Steigungen in der prallen Sonne davon ein echter Prüfstein. Doch genau diese Momente brennen sich ein. Für die Beine schmerzhaft. Für den Kopf unvergesslich.
Und für die Seele? Pures Glück.
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