Auf den Spuren der Geschichte in Gemona del Friuli
Als wir Gemona del Friuli erreichen, umfängt uns die stille Atmosphäre eines Ortes, der einst dem Boden gleichgemacht wurde. Die Stadt, heute fast vollständig wiederaufgebaut, birgt eine bewegende Geschichte, die tief unter die Haut geht. Es sind die schrecklichen 60 Sekunden des 6. Mai 1976, die das Leben der Bewohner für immer veränderten. In diesen wenigen Sekunden richtete ein verheerendes Erdbeben unvorstellbare Zerstörungen an und ließ einen Ort zurück, der von Schmerz, Verlust und Verwüstung geprägt war.
Ein beeindruckender Besuch im Erdbebenmuseum
Unser erster Halt führt uns zum Museo del Terremoto, dem Erdbebenmuseum, das die Erinnerung an diese tragischen Momente lebendig hält. Bereits beim Betreten spüren wir die bedrückende Stimmung, die hier herrscht. Bewegende Bilder und Überreste erzählen die Geschichte eines erschütternden Tages, der das Leben der Menschen in Gemona für immer veränderte. In den Augen der Überlebenden, deren Geschichten wir in den Ausstellungsräumen begegnen, erkennen wir den unerschütterlichen Willen, trotz allem wieder aufzustehen. Es ist eine Geschichte von unglaublicher Solidarität und Zusammenhalt – Werte, die in unserer heutigen Zeit, in der oft nur das eigene Wohl im Vordergrund steht, nahezu Fremdwörter geworden sind.
Gerade in diesem Moment wird uns bewusst, wie wichtig es ist, mit wenig zufrieden zu sein und das Leben in seiner ganzen Fülle zu schätzen. Es ist ein Appell an alle jungen Menschen bis 30: Ein Dach über dem Kopf, das für viele von uns eine Selbstverständlichkeit ist, hat hier in Gemona eine neue Dimension und Bedeutung bekommen. Die zerstörten Häuser, die weinenden Gesichter und die Trümmerhaufen zeigen uns, dass das, was wir haben, keine Selbstverständlichkeit ist. Es ist ein Geschenk, für das wir dankbar sein sollten.
Die SERM Akademy – Eine Institution mit Geschichte
Inmitten dieses Ortes der Erinnerung finden wir auch die SERM Akademy, die sich der Forschung und Ausbildung in der Erdbebensicherheit verschrieben hat. Gegründet nach der Katastrophe von 1976, verfolgt die Akademie das Ziel, durch wissenschaftliche Erkenntnisse und technisches Know-how zukünftige Generationen besser vor solchen Tragödien zu schützen. Die Geschichte der SERM Akademy ist eine Geschichte von Engagement und Hingabe – sie ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass aus der Asche der Zerstörung etwas Neues und Sinnvolles entstehen kann.
Eine persönliche Anmerkung: Warum kam der Papst erst 20 Jahre später?
Ein Rätsel bleibt jedoch in den Köpfen vieler Bewohner: Warum besuchte Papst Johannes Paul II. den Dom von Gemona erst 20 Jahre nach dem verheerenden Erdbeben? War seine Zeit tatsächlich so knapp bemessen, dass er den Menschen hier nicht früher seine Anteilnahme und Unterstützung zeigen konnte? Dieser späte Besuch lässt Fragen offen und wirft einen Schatten auf das publikumsträchtige Engagement des Papstes. Seine Vorbildfunktion gegenüber den Gläubigen, die in Momenten größter Not ein Zeichen der Hoffnung gebraucht hätten, steht damit in einem kritischen Licht.
Doch trotz der schweren Vergangenheit hat Gemona auch andere Seiten, die uns in ihren Bann ziehen. Am Ortsausgang, unter einer Eisenbahnbrücke, entdecken wir die von mir so benannte „Eastside Galerie“. Beeindruckende übergroße Graffitis schmücken die Wände einer Eisenbahnbrücke, geschützt durch einen stabilen Zaun, und lassen uns die Kreativität und den ungebrochenen Lebenswillen der Menschen spüren, die hier leben.
Die Olivenbäume und Weinreben am Wegesrand, voll behangen mit roten Trauben, laden uns zum Naschen ein, doch wir widerstehen – die Vorfreude auf den Wein am Abend ist zu groß. Die Sonne brennt heiß vom Himmel und wir kommen an unsere psychischen und physischen Grenzen, während wir die letzten Ausläufer der Berge hinter uns lassen.
Der Weg führt uns weiter durch eine grüne Landschaft, vorbei an Sojabohnen- und Maisfeldern. Kleine Orte mit verwinkelten, aber gut ausgeschilderten Straßen säumen unseren Weg. In Udine legen wir eine wohlverdiente Halbzeitpause ein. Auf einem zentralen Platz genießen wir frische Paninis und Cappuccino, während die Berge an der Grenze zu Slowenien immer wieder im Osten auftauchen. Wir fühlen uns erfrischt und bereit für den weiteren Weg – doch dann verfahren wir uns glatt und landen 10 Kilometer in der prallen Sonne.
Am Ende des Tages erreichen wir den Campingplatz in Aquileia, der sich leider als Reinfall erweist. Der verlockende Pool hat uns geködert, doch die Sanitäranlagen sind nur ausreichend und Toilettenpapier müssen wir selbst mitbringen – für 35 Euro, alles inklusive. Der Platz liegt laut an der Straße und der Boden ist ungepflegt. Ein unglückliches Ende für einen Tag, der uns emotional und körperlich so viel abverlangt hat.
Fazit: Eine Reise voller Höhen und Tiefen
Unsere Reise nach Gemona del Friuli war ein Wechselbad der Gefühle. Von der erschütternden Geschichte eines Ortes, der sich aus den Trümmern erhoben hat, bis hin zu den Freuden des einfachen Lebens, das uns die italienische Landschaft schenkte. Die Botschaft, die wir mit nach Hause nehmen, ist klar: Wir müssen zusammenhalten, das Leben schätzen und uns bewusst machen, dass wir mit wenig zufrieden sein können. Denn das, was wir haben, ist kostbar – und es kann jederzeit verloren gehen.