„Diese Nacht…“, murmelte ich, noch halb benommen von der Hitze, „…war ein Thermiktraum unter Schräge und Schweiß.“
Ich lag wach, nur das Bettlaken halb über dem Bauch, das Fenster kaum größer als ein Backofenblech und das Dach direkt darüber, wie ein Grillrost auf dem man in der Provence Paprika dörrt. Es war eines jener Zimmer, das in Immobilienanzeigen als „charmante Dachgeschosswohnung mit Charakter“ beschrieben würde, dabei war es schlicht: klein, heiß und in Sachen Belüftung eher ein Feigenblatt als ein Fächer. Ein Ventilator kreiselte matt in der Ecke, stoisch und müde wie ein alter Mann im Wartezimmer. Immerhin: Nach unserer Rückkehr vom Abendbummel hatte er die Luft ein wenig umgewälzt wie ein Löffel in zu dickem Pudding.
Doch der Tag, ja, der hatte es wieder einmal in sich. Es begann mit einem zähen Aufbruch aus unserer Unterkunft im Osten der Stadt, irgendwo nahe der alten Rheinbrücke bei Kehl. Das Gebäude, eine ehemalige Tabakmanufaktur, beherbergte heute allerlei: Manufakturen, Hofläden, Freizeitträume. Und bis weit nach Mitternacht klangvolle Träume anderer Leute, begleitet von Beats, Bier und dem selbstbewussten Klang moderner Freiheit. Schlaf? Möglich. Tiefschlaf? Fehlanzeige.
Die ersten Kilometer waren, mit Verlaub, eine Reifeprüfung. Abgetretene Fahrbahnränder, parallel zur Autobahn, gesäumt von Brombeerbüschen und dem ewigen Sirren des Verkehrs. Ein Test für Gleichgewicht und Geduld. Doch dann, endlich, fanden wir wieder Anschluss an den Radweg entlang der Kinzig. Ein Band aus Asphalt, das sich wie eine träumerische Ader durch die Landschaft schlängelte.
Die Sonne hatte sich schon früh in Szene gesetzt. Sie thronte gleißend über allem, eine Diva ohne Schatten. Es war heiß. Heiß wie die Scheinwerfer auf einer Theaterbühne, unter denen die Schauspieler schwitzen, während sie vorgeben, kühl zu bleiben. Die Luft roch nach trockener Erde, Weizenstaub und gelegentlich nach dem spröden Duft von Sonnencreme, der sich wie eine schützende Patina auf die Haut legte.
Links und rechts reckten sich die Weizenfelder gen Himmel. Auf deutscher Seite blieb alles unbewässert, eine bräunlich-gelbe Landschaft, in der jede Ähre wie ein kleiner Flammenwerfer funkelte. Der Schwarzwald wachte träge am Horizont, eine schattige Wand aus sattgrünem Versprechen. Wir kämpften uns gen Emmendingen, dann weiter Richtung Freiburg. Die Stadt forderte uns mit steilen Zufahrten heraus, ein letztes Muskelspiel vor dem Ziel.
Martinas Akku machte kurz vor dem Campingplatz schlapp. Und wenn ein Akku streikt, hilft nur eins: Kaffee. Wir landeten in einem dieser typischen Freiburger Cafés mit Holzstühlen, offenen Fenstern und dieser eigenartigen Mischung aus Bohnenaroma, Mandelkuchen und studentischer Unruhe. Während Martinas Fahrrad wieder zu Kräften kam, gönnten wir uns eine letzte Rast und schauten uns still an. Es waren neun schöne Tage. Kleine Etappen. Große Eindrücke.
Abends dann, ach der Biergarten gleich nebenan !
Eine Lichtung unter Kastanien, bedeckt mit Schotter, auf dem jeder Schritt ein kleines, knirschendes Konzert erzeugte. Die Tische aus stabilem Holz, lackiert, mit dieser ehrlichen Patina unzähliger Stammtischgeschichten. Die Bänke von Einheimischen und Gästen bevölkert, die Stimmen mischten sich zu einem vielstimmigen Murmeln: Lachen, Pläne, Rückblicke. Kinder rannten durch die Gänge, quietschten vor Freude, stolperten, standen wieder auf. Gläser klirrten, Besteck klackerte, und irgendwo sang jemand eine Melodie, die im Hopfenduft zerfiel.
Der Zwiebelrostbraten war auf den Punkt. Außen Röstaromen, innen saftig, liebevoll begleitet von hausgemachten Spätzle, die sich wie kleine, käsige Wölkchen an den Gaumen schmiegt. Das Schweinefilet? Eine Offenbarung in Rosé. Dazu ein Bier, das in der Kehle perlt wie ein kleines Dankeschön des Tages.
Und dann,später, das Zelt. Unser Palast aus Stoff, aufgehoben in der Dunkelheit. Kein Stern war zu sehen, aber das machte nichts. Denn über der Wiese tanzten Glühwürmchen. Kleine Lichter in der Nacht, flüchtig und doch tröstlich.
Warum sie leuchten? Ich weiß es nicht genau. Vielleicht, weil sie einen Partner suchen. Vielleicht, weil sie einfach leuchten müssen, so wie wir reisen müssen. Vielleicht ist es Liebe. Vielleicht Biochemie.
Vielleicht sind es auch nur kleine Lebewesen, die uns zeigen wollen, dass Schönheit oft dort zu finden ist, wo man nicht damit rechnet.
Elsass? Heiß. Aber herzhaft. Wie ein Flammkuchen mit doppelt Käse.
So enden unsere neun Tage. Mit Schweiß, Schweinefilet und Sternchen im Gras. Und der Vorfreude auf das nächste Mal.