26.09.2025 Frankreichreise mit dem Wohnmobil – eine Reise zum Durchatmen

Die Reise begann am 12. September in Lohfelden. Wir fuhren mit dem gemieteten Wohnmobil von Fehling in Immenhausen, einem 6,99 Meter langen Gefährt, das sich als komfortabler Begleiter auf dieser Reise erweisen sollte. Auf der Autobahn rollten wir zügig Richtung Süden und überquerten bei Mulhouse die französische Grenze. Ab jetzt lagen weite Felder, kleine Städte und die Freiheit des Unterwegsseins vor uns.

Unsere Radtouren führten uns täglich zwischen dreißig und siebzig Kilometern weit durch unterschiedlichste Landschaften. Von sanften Weinbergen bis zu stürmischen Küsten, von flachen Kanälen bis zu historischen Städten – jede Etappe war ein kleines Abenteuer. Der Wind begleitete uns dabei häufig und wurde in den letzten Tagen so heftig, dass wir manchmal das Gefühl hatten, rückwärts zu fahren. Doch nie wich uns das Lächeln. Zu zweit auf dem Rad, zu zweit im Leben – das war unser Leitsatz.

Wir lebten spontan. Die Ziele wurden meist erst am Vorabend gewählt. Unsere Vorräte füllten wir mit regionalen Spezialitäten. Auf den Wochenmärkten entdeckten wir Käse in allen Reifegraden, Tartes mit Ziegenkäse und Tomate, hausgemachte Aufläufe, selbst gefangene Forellen, Marmeladen aus alten Apfelsorten und Baguettes mit einer Kruste, die beim Brechen knisterte wie ein Lagerfeuer. In den Bäckereien gönnten wir uns täglich ein oder zwei süße Teilchen – denn was wäre Frankreich ohne seine Pâtisserie?

In den Gesprächen zwischen uns ging es oft um das Leben. Um das, was war, und das, was noch kommt. Um Veränderungen, um Wünsche, um das, was wir früher nicht gesehen haben, und was jetzt so deutlich spürbar ist. Die Reise wurde zu einem Spiegel. Und zu einer Zeit der Achtsamkeit. Für uns. Für das Jetzt.

Unser erster längerer Halt war in Belfort. Der Campingplatz lag idyllisch an einem kleinen See, der als Naherholungsgebiet genutzt wurde. In fünf Minuten waren wir mit dem Rad in der Altstadt. Besonders beeindruckend war die Markthalle. Der Duft von Fleisch, Geflügel, Gewürzen und frischem Brot lag schwer in der Luft. Die Käsetheken schienen endlos, junge Frauen schnitten hauchdünnen Schinken auf, Elsässer Knacker wurden wie Delikatessen gehandelt, und hausgemachte Nudelsalate mit Sahne oder Essigöl standen in Dutzenden Variationen bereit. Der Gugelhupf, eine Spezialität der Region, wanderte gleich mehrfach in Einkaufstaschen. Menschen warteten geduldig in der Schlange, redeten, lachten. Nach dem Einkauf gehörte das Gläschen Wein einfach dazu, begleitet von einer Vesperplatte mit Schinken oder Käse. Es war diese gelebte Kultur, die uns sofort einnahm. Am Abend bereitete ich frische Entenburger zu, während Martina ein Glas Rotwein genoss. Es war einer dieser Abende, an denen alles stimmte.

Am folgenden Tag fuhren wir eine Etappe am Canal du Rhône entlang. Die Radwege waren hervorragend ausgebaut. Wir begegneten erstmals dem EuroVelo 6. Hoch oben in der Zitadelle über Belfort genossen wir den Ausblick auf die Stadt. Die Sonne stand tief, tauchte alles in warmes Licht. Auf den Weiden grasten Charolais-Rinder – kraftvolle Tiere mit hellbeigem Fell. Ihr Fleisch gilt als Delikatesse. Ich erinnerte mich an einen Metzger, der schwärmte: saftig, fein marmoriert, nussiger Geschmack. Die Begegnung mit diesen Tieren in freier Landschaft war für mich mehr als nur ein touristischer Eindruck. Es war ein Respekt gegenüber dem Tier, dessen Qualität sich nicht in Masse, sondern in Haltung und Sorgfalt zeigt.

Am dritten Tag erreichten wir Nevers über den EuroVelo 6. Die Strecke war traumhaft – flach, naturnah, aber der Wind hatte gedreht. Uns blies ein eiskalter Strom entgegen, der jede Pedalumdrehung doppelt anstrengend machte. Die Kanäle lagen still, doch über ihnen zogen Möwen in schnellen Schwärmen. Kormorane stießen senkrecht ins Wasser, Libellen tanzten über die Oberfläche. Im Gebüsch raschelte ein Fuchs, der sich schnell verzog.

„Wie lange noch?“ fragte Martina schnaufend.

„Noch vier Kilometer – oder zwei mit Rückenwind“, lachte ich.

„Dann wünsche ich mir Rückenwind – fürs Radeln und fürs Leben.“

Die Stadt Nevers empfing uns mit historischer Kulisse, gepflasterten Straßen und kleinen Cafés. Wir schoben unsere Räder durch die Altstadt, bestaunten Kirchenfenster, Brunnen und ein kleines Theater. Im Schatten einer Linde tranken wir Espresso. Die Kellnerin brachte uns ein Glas Wasser dazu, mit einem Lächeln, das mehr sagte als Worte.

Der Campingplatz lag ruhig, die Parzellen waren großzügig. Ein Ort zum Ankommen, Durchatmen und Auftanken.

Cancale – Die Austernstadt erwacht

Cancale empfing uns mit einem ganz eigenen Rhythmus. Die entspannte Anreise über mautfreie Straßen verlief angenehm, auch wenn unser erster angesteuerter Campingplatz bereits geschlossen war. So fuhren wir an der schmalen Küstenstraße entlang durch das charmante Örtchen, vorbei an blauen Fensterläden, kleinen Gassen und dem Geruch von Salz und Algen in der Luft. Der Blick über die Bucht öffnete sich weit, und das erste Mal spürten wir die Nähe zu dem, was diese Stadt weltberühmt macht: den Austern.

Der tägliche Weg führte uns bald zum wohl einzigartigsten Austernmarkt der Welt, direkt unterhalb der Altstadt gelegen. Hier verkaufen gut gelaunte Fischerinnen und Fischer ihre selbst gezüchteten Meeresfrüchte. Die Auswahl war überwältigend: acht Sorten regionaler Austern, darunter feinste Größen von sehr klein bis imposant groß. Die preisliche Spanne lag zwischen sieben und dreizehnfünfzig Euro pro Dutzend, inklusive Zitrone. Die Muscheln lagen nicht auf Eis, sondern wurden stilvoll auf einem wiederverwendbaren Kunststoffteller serviert. Ich trank dazu einen Orangensaft, Martina genoss einen Schluck Weißwein.

Wir saßen an einem langen Tisch, nicht allein. Um uns herum fröhliche Stimmen, Ausgelassenheit, Menschen aus aller Welt mit leuchtenden Augen und salzigen Lippen. Das Rauschen der Brandung war unser ständiger Begleiter, der Geruch des Meeres mischte sich mit dem Aroma frischer Austern und dem Hauch Zitrone. Das Salz lag auf unseren Lippen, während wir in die Ferne auf die Austernbänke blickten – bei Ebbe ein geometrisches Kunstwerk aus Reihen und Mustern, bei aufkommendem Wasser ein schimmerndes, bewegtes Mosaik aus Leben.

Die Schalen warfen wir zurück ins Meer. Sie prallten auf, klackerten im Wasser, rutschten sanft über die Steine – ein akustisches Ritual, das wohl täglich hundertfach stattfindet. Es war ein Erlebnis für alle Sinne. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in den feuchten Steinen, das Lachen der Menschen wurde getragen vom Wind, und wir fühlten uns leicht, frei, lebendig.

Nach dem Austernmarkt schlenderten wir durch die engen Gassen von Cancale, vorbei an der Metzgerei an der Kirche im oberen Dorf – mein persönlicher Geheimtipp. Täglich erlaubten wir uns ein großes Eis bei „Moustache“. Die Auswahl war beinahe überfordernd, doch jede Sorte ein kleines Kunstwerk für den Gaumen. Bei all dem wussten wir: Diesen Ort, diesen Duft, diese Geräusche – wir würden sie nie vergessen.

Nach unserem intensiven Erlebnis in Cancale führte uns der Weg weiter nach Blainville-sur-Mer. Es war ein stürmischer Tag. Der Regen prasselte in dichten Schleiern gegen die Frontscheibe des Wohnmobils, der Wind rüttelte spürbar an der Karosserie, als wolle er uns auf die Probe stellen. Die Straße war schmal, das Meer zur Linken nicht zu sehen, aber zu erahnen – laut, wild, ungezügelt. Wir rollten durch nasse Dörfer, durchzogen von kleinen Kanälen und steinernen Mauern, bis wir endlich einen der wenigen geöffneten Campingplätze erreichten.

Unser Wohnmobil stand an diesem Nachmittag wie ein Boot im Hafen, während draußen der Sturm tobte. Wir machten es uns gemütlich, kochten Tee, wickelten uns in Decken und ließen das Prasseln des Regens zur Hintergrundmusik unseres Nachmittags werden. Diese verlängerte Mittagsstunde im schaukelnden Wagen hatte etwas Geborgenes. Etwas, das man nur auf Reisen erlebt, wenn sich Draußen und Drinnen zu zwei völlig unterschiedlichen Welten entwickeln.

Am Abend klarte der Himmel etwas auf. Wir wagten einen Spaziergang zum Meer. Der Sand war feucht und weich, unsere Fußspuren versanken rasch. Ich summte „La Mer“, während Martina ihre Kapuze tiefer ins Gesicht zog und lachte. Der Duft von Tang, die Frische der Gischt, das gurgelnde Rauschen der auflaufenden Wellen – alles wirkte kraftvoll und gleichzeitig wie eine Umarmung. Wir fanden eine kleine Bäckerei, deren Auslage dampfendes Gebäck und duftende Törtchen versprach. Für später kauften wir uns das leckerste Gebäckteil unserer Reise. Der erste Biss war zart, warm, süß – ein Trost nach einem Tag voller Wasser und Wind.

In einer typischen kleinen Bar tranken wir einen Ricard und eine Orangina. Die Einheimischen plauderten gelassen, als gäbe es den Sturm draußen gar nicht. Danach bestellten wir Muscheln, natürlich wieder mit Austern vorweg, dazu ein Dessert, das auf der Zunge zerging. Zurück im Wohnmobil ließen wir den Abend in aller Ruhe ausklingen. Der Regen trommelte auf das Dach, der Wind sang uns ein raues Schlaflied. Es war eine jener Nächte, die man nie vergisst – weil sie so echt, so nah und so intensiv war.

La Cale – ein Ort, wo das Meer den Takt gibt

Schon aus der Ferne hörst du das tiefe Brummen der Trecker, die mit schwer beladenen Anhängern bei Ebbe über den Meeresboden rumpeln. Sie holen Austern und Muscheln aus den Feldern und bringen sie vollgepackt zurück an Land. Einer der Trecker fährt direkt vor die Bretterbude und kippt seine schwere Last ab. Der Geruch von Salz, von feuchtem Tang, von frisch geöffneter Muschelschale liegt in der Luft und vermischt sich mit dem warmen Hauch des Kamins, der schon angeheizt ist.

Die langen massiven Bänke stehen ohne Ordnung im Sand. Kein Möbelstück gleicht dem anderen. Die Bretter sind verwittert von Wind und Meer, glattgescheuert von vielen Sommern. Man sitzt mit baumelnden Beinen, die Zehen graben sich in den warmen feuchten Sand. Jeder Schritt über den Boden lässt alte Fliesen knistern, vermischt mit dem Streusand, der hinein geweht wird.

Der Empfang ist einfach und herzlich. Bestellt wird an der Theke. Eine kleine Nummer reicht aus, um dich wiederzufinden. Die Mitarbeiter sind braungebrannt, die Gesichter von Lachfalten durchzogen. Sie wirken, als wären sie Teil dieses Ortes selbst. Sonne, Wind und Meer haben sie geformt, und ihr Lachen ist so ansteckend, dass schon der erste Gruß Leichtigkeit in den Tag bringt. Gleich nebenan schneidet jemand das Holzofenbrot mit dunkler knuspriger Kruste. Ein Duft von geröstetem Mehl und Feuer steigt auf. Für manche zierliche Dame ist das Zerteilen dieses Brotes eine wahre Herkulesaufgabe – doch gerade das macht den Charme aus.

Der Gastraum ist schlicht und voller Seele. Eine Art kleiner Empore trägt ein Klavier, und immer wieder setzt sich jemand spontan darauf an und spielt. Ein französischer Chanson erfüllt den Raum, La Mer erklingt, und plötzlich singen viele Stimmen mit. Schunkeln, Lachen und Klatschen breiten sich aus. Ein Feuerwerk der Freude, ein Strom ausgelassener Stimmung. Die Menschen sind fröhlich wie Freunde, die sich nach langer Zeit wiedersehen. Familien stoßen zusammen, Kinder rennen barfuß durch den Sand, Freunde begrüßen sich mit Küssen, Fremde werden in die Gemeinschaft aufgenommen.

Am offenen Kamin schmoren Lamm und Schweinekeule langsam über den Flammen. Das Holz stapelt sich gleich nebenan in einem kleinen Raum, der auch als Rückzugsort der Mitarbeiter dient. Nebenan warten hausgemachte Würste voller Kräuter – doch nie lange. Die Muscheln dampfen in einer Sauce aus Crème fraîche und Wein und ziehen eine duftende Wolke über den Raum. Frische Austern glänzen auf Eis, jede Schale schmeckt nach Meer, nach Alge, nach einer Note Haselnuss. Die Karte ist klein, doch sie enthält nur Gewinner: Austern, Muscheln, Brot, Fleisch und Würste – die Speisen wirken wie das destillierte Herz dieser Region.

Die Getränkeauswahl ist bescheiden, aber vollkommen ausreichend. Ein kühler Weißwein, ein ehrlicher Cidre, Wasser, das in rustikalen Tonkrügen gereicht wird. Genug, um diesen Ort zu feiern. Genug, um die Freude zu unterstreichen.

Die Kunst an den Wänden ist sinnlich: Männer und Frauen in erotischen Posen, gemalt in Öl, gestickt in Stoff oder mit kräftigen Farben auf Leinwand. Es ist verspielt, provokant, lebendig. Es passt hierher wie die Möwen zum Meer.

Die Stimmen der Gäste füllen den Raum. Französisch klingt wie ein Lied voller kleiner Wortspitzen. Ein Stimmengewirr, das sich mit dem Knacken des Feuers und dem Klirren der Gläser vermischt. Jeder hilft am Ende beim Abräumen, Teller und Krüge werden liebevoll an der Theke abgestellt. Es wirkt selbstverständlich – so wie alles an diesem Ort selbstverständlich und natürlich wirkt.

Draußen zieht die Flut langsam zurück. Das Meer atmet ein, Möwen kreischen, der Wind trägt den Geruch von Algen und Gischt herüber. Der Himmel verfärbt sich violett, die ersten Lichter der Boote leuchten in der Ferne, und noch immer klingt das Klavier drinnen. Die Stimmen singen weiter.

Und während du dort sitzt und das Meer beobachtest, denkst du keinen Augenblick an das Aufstehen oder das Verlassen dieses Ortes. Hier geht alles einfach gut. Hier lebt die französische Lebensart in ihrer schönsten Form. Hier spürst du wahre joie de vivre.

La Cale ist kein Restaurant. Es ist ein Erlebnis. Es ist ein kleines Universum aus Meer, Sand, Brot, Feuer, Wein, Musik und Lachen. Und wer hier einmal sitzt, möchte für immer bleiben.

Fahrt durch die Normandie nach Calais

Am frühen Morgen verabschiedeten wir uns vom Campingplatz Valhalla, der uns mit seiner Ruhe und Herzlichkeit tief beeindruckt hatte. Der Himmel war grau, der Wind kräftig, und der Regen klopfte leicht gegen die Windschutzscheibe. Unsere Route führte uns entlang der Küste Richtung Calais, durch die weiten, offenen Landschaften der Normandie, die in diesem Spätsommer voller Farben und Leben steckten.

Links und rechts der Straße erstreckten sich grüne Felder, auf denen Bauern mit schwerem Gerät Kartoffeln ernteten. Die Maschinen arbeiteten im Takt, Trecker zogen langsam ihre Bahnen, begleitet vom dumpfen Dröhnen der Motoren. In der Ferne wurde Mais zum Einsilieren eingefahren, meterhoch türmten sich die Pflanzen am Feldrand. Wir fuhren vorbei an weidenden Pferden, Eseln und kräftigen Rindern, die in aller Seelenruhe das satte Gras fraßen. Dazwischen reihten sich prächtige Apfelbäume, voll behangen mit reifen Früchten, die im Sonnenlicht leuchteten wie kleine goldene Laternen.

Ein Schauer überraschte uns bei einer engen Durchfahrt durch ein kleines Dorf. Die Straßen glänzten nass, das Laub begann sich zu verfärben, kündigte leise den beginnenden Herbst an. Dann ein Regenbogen, klar und weit gespannt vor uns, ein Zeichen der Ruhe nach dem Sturm. Kilometerlang tuckerten wir hinter voll beladenen Traktoren her, beobachteten das Leben auf dem Land, das uns entschleunigte und gleichzeitig verzauberte.

Die Straßen waren stellenweise gezeichnet vom Ernteverkehr. Zuckerrüben lagen vereinzelt auf dem Asphalt, matschige Spuren zogen sich über die Fahrbahn, und der süßlich-schwere Duft einer nahen Zuckerfabrik war selbst bei geschlossenem Fenster deutlich wahrnehmbar. Es war ein ehrlicher, ländlicher Geruch, intensiv und typisch für die Region.

In Calais angekommen, steuerten wir den städtischen Campingplatz an, ein größerer Platz in zentraler Lage. Rund zwanzig Minuten zu Fuß sind es bis zur Innenstadt. Wir entschieden uns, zuerst den Weg entlang des Strandes zu nehmen. Der Wind trug den feinen Sand über den Asphalt, Möwen kreischten in der Luft, das Wasser glitzerte in der Spätnachmittagssonne. Am Hafen lagen Fischerboote, der Geruch von Tang und Diesel mischte sich mit dem salzigen Duft der See.

Die Strandbuden, kleine Holzhütten, standen in Reih und Glied wie auf einem Weihnachtsmarkt, nur eben im Spätsommer. Manche boten Crêpes an, andere frisch gegrillten Fisch. Wir legten eine Pause an der imposanten Halle des Motordrachens ein. Dort, direkt am Wasser, thront ein Ungetüm aus Stahl, Gummi und Technik – halb Maschine, halb Kunst. Der Motordrache ist Teil einer riesigen mechanischen Theaterinszenierung, die an Jules Vernes Welten erinnert.

Als die heutige letzte Fahrt begann, ruckte das Monstrum los. Laut fauchend bewegte sich der Drache vorwärts, Wasser spritzte, heiße Flammen schossen in den Himmel. Das Geräusch der Hydraulik, das Kreischen der Ketten, das Beben des Bodens – all das machte den Moment dramatisch und unvergesslich. Wir standen mit offenem Mund da, fasziniert von der technischen Wucht und der verspielten Magie dieses Wesens. Kinder klatschten, Erwachsene zückten ihre Handys, und für einen Moment war jeder wieder Kind.

Auf dem Rückweg stoppten wir noch in einem kleinen Einkaufszentrum, fanden dort zufällig eine Metzgerei, deren Auslage uns sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Wir entschieden uns für ein schönes Rückenstück vom Rind mit dickem Fettrand. Wieder auf dem Platz angekommen, kochten wir mit Freude ein Festmahl: Rindfleisch, begleitet von selbstgemachtem Kartoffelpüree und Ratatouille-Gemüse. Der Duft durchzog das Wohnmobil, die Fenster beschlugen leicht, und wir genossen das Essen wie ein Fünf-Gänge-Menü in einem Sterne-Restaurant.

Während draußen langsam die Dunkelheit hereinbrach, saßen wir in unsere Decken gehüllt im Wohnmobil. Der Wind rauschte durch die Baumwipfel, das letzte Licht flackerte hinter den Wolken, und wir wussten: Morgen beginnt ein neues Kapitel dieser Reise.

Grenzübertritt nach Belgien – Londerzeel und die Fahrt nach Antwerpen

Nach all den Tagen in Frankreich und entlang der Küste führte uns unsere Reise weiter gen Norden. Belgien war das letzte Land auf unserer Route, und obwohl wir dort nur zwei Tage verbrachten, sollte uns dieses kurze Kapitel noch lange in Erinnerung bleiben. Unser Ziel: der Campingplatz in Londerzeel, nördlich von Brüssel. Der Platz liegt unmittelbar an einer Autobahn, was wir bereits bei der Ankunft deutlich hörten. Das Geräuschband der nahen Straße begleitete uns unaufhörlich. Doch unser Stellplatz am Ende der Anlage war geräumig, ruhig gelegen, und die Ohropax leisteten gute Dienste.

Der erste Eindruck des Campingplatzes war überraschend positiv. Die sanitären Anlagen waren sauber, wurden täglich gereinigt, und es gab eine Wohltat für deutsche Camper: Toiletten mit Brillen und Papier. Zum Duschen brauchte man eine Duschmarke, die an der Rezeption ausgegeben wurde. Wir hatten keine dabei und nutzten tapfer das kalte Wasser – ein kalter Schock, aber auch ein erfrischendes Erlebnis.

Eine kleine Gaststätte auf dem Platz bot einfache Speisen an, doch uns zog es hinaus in die Stadt. Unsere erste Radtour in Belgien führte uns nach Antwerpen. Ausgeschildert waren es 27 Kilometer. In der Realität waren es 27 Kilometer, die sich wie eine Prüfung anfühlten.

Schon nach wenigen Kilometern hatten wir das Gefühl, mitten durch einen endlosen Lärmkanal zu fahren. Der Radweg verlief die meiste Zeit direkt entlang der stark befahrenen Autobahn. Der Lärm der Autos war ohrenbetäubend, vermischt mit dem schrillen Kreischen vorbeifahrender Motorroller, die die ohnehin schmalen Radwege mit uns teilten. Immer wieder zuckten wir zusammen, wenn ein Roller von hinten heranrauschte. Der Wind wehte uns kalt und unbarmherzig ins Gesicht, erschwerte jede Pedalumdrehung, zerrte an unserer Kleidung, trocknete die Lippen aus. Die Strecke zog sich, war wenig abwechslungsreich, und dennoch zäh.

Doch als wir die ersten Häuser von Antwerpen erreichten, änderte sich die Stimmung. Die Straßen wurden ruhiger, und mit einem Mal standen wir zwischen prächtigen alten Gebäuden, deren Fassaden mit Ornamenten, Reliefs und vergoldeten Details geschmückt waren. Die Innenstadt von Antwerpen war ein echtes Kleinod. Viele der Bauten stammen aus der Zeit der flämischen Renaissance, zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert, als die Stadt eine der reichsten Handelsmetropolen Europas war.

Martina blieb vor einem besonders reich verzierten Gebäude stehen.

„Siehst du diese Skulpturen über den Fenstern?“, fragte sie und deutete auf eine Reihe kleiner Engel, die eine Girlande aus Stein hielten.

„Ja. Es ist, als ob sie seit Jahrhunderten mit ansehen, wie die Menschen unten weiterhetzen.“

Wir schlenderten durch die belebten Fußgängerzonen, wo sich historische Gebäude mit modernen Läden abwechselten. Die Straßen waren voll, das Treiben pulsierte, doch wir fühlten uns plötzlich wieder leicht. Unser Ziel: eine belgische Pommesbude. Wir wollten wissen, ob die berühmten „fritten“ wirklich besser sind.

Bei der „Fritterie Nr. 1“ wurden wir fündig. Doch leider erfüllten sich unsere Erwartungen nicht. Die Pommes waren eher durchschnittlich, portionsmäßig knapp bemessen, und die knusprige Frische fehlte. Ein kleiner Dämpfer, aber kein Grund zur Enttäuschung – es war schließlich der Weg, der zählte.

Für den Rückweg wählten wir eine andere Route, die sich als Glücksgriff herausstellte. Entlang eines ruhigen Kanals führte uns der Radweg hinaus aus der Stadt, vorbei an Hausbooten, Fischern, einer langsam untergehenden Sonne und einem Himmel, der sich rosa färbte. Es war still, der Lärm der Stadt lag hinter uns, und der Fahrtwind war nun unser Freund. Wir rollten durch kleine Dörfer, begleitet von Vogelrufen, dem Plätschern des Wassers und dem Gefühl, wieder im Einklang zu sein.

Erst in der Dunkelheit kamen wir zurück auf den Campingplatz. Müde, aber erfüllt. Wir wärmten uns mit einer heißen Suppe, kuschelten uns in unsere Decken und ließen den Tag Revue passieren.

Die Anstrengung des Hinwegs, der Lärm, der kalte Wind – all das wich einer tiefen Dankbarkeit für das, was wir erlebt hatten. Belgien hatte begonnen, Spuren zu hinterlassen.

Brüssel – Hauptstadt, Kunstwerk, Ameisenhaufen

Der zweite Tag in Belgien sollte uns nach Brüssel führen. Etwa 30 Kilometer trennten uns vom Zentrum der Hauptstadt. Wir entschieden uns für einen eher ungewöhnlichen Weg, abseits großer Straßen. Über Feld- und Waldwege, durch kleine belgische Ortschaften, begleitet von knackenden Ästen unter unseren Rädern und dem scharfen Geruch feuchter Erde. Es war ein kalter, windiger Morgen, der Himmel grau und schwer, der Wind stand quer und biss sich durch unsere Kleidung. Doch wir traten dagegen an, eingehüllt in unsere Gedanken und Vorfreude auf einen besonderen Ort.

Unser erstes Ziel war das Atomium, das schon aus der Ferne wie ein futuristisches Wesen am Horizont auftauchte. Neun silberne Kugeln, verbunden durch glänzende Röhren, ragen seit der Weltausstellung 1958 in den Himmel. Dieses Bauwerk ist kein gewöhnliches Denkmal. Es stellt ein Eisenmolekül dar, 165 Milliarden Mal vergrößert, ein Symbol für den technischen Fortschritt und den Glauben an eine bessere Zukunft in der Nachkriegszeit.

„Ist das noch Kunst oder schon eine Legende?“ fragte ich Martina, als wir unter den massiven Kugeln standen.

„Vielleicht beides. Wie die Documenta in Kassel – auch dort denkt man, was ist das hier eigentlich? Und trotzdem berührt es.“

Wir entschieden uns gegen eine Innenbesichtigung. Stattdessen genossen wir den Ausblick auf das Umland und die beeindruckende Architektur. Danach zog uns ein anderer Duft in die nächste Etappe: Belgische Waffeln. Frisch gebacken, dampfend, karamellisiert. Die Wärme der süßen Leckerei breitete sich in unseren Händen aus, während der Wind unsere Nasen rot färbte.

Nächstes Ziel: Maison Antoine. Eine Institution in Sachen Pommes. Die Geschichte dieser Friture reicht bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zurück. Einst ein unscheinbarer Stand, heute ein Ort der Pilgerfahrt für Liebhaber der belgischen Frittenkultur. Direkt auf dem Jourdanplatz gelegen, umgeben von gemütlichen Kneipen, bietet Maison Antoine die Möglichkeit, die frisch frittierten Kartoffelstifte im benachbarten Lokal zu genießen. Ein klarer Vorteil: drinnen war es warm.

Wir setzten uns in eine der Kneipen rund um den Platz. Die Atmosphäre war bodenständig und lebendig. Die Pommes knusprig, die Sauce Andalouse würzig. Der Kellner lächelte und nickte anerkennend, als wir unsere Tüten öffneten. Es war ausdrücklich erlaubt, das Essen mitzubringen. Das nenne ich belgische Gastfreundschaft.

Gestärkt machten wir uns auf den Weg zum Grand-Place, dem Rathausplatz. Doch an diesem Tag war das Panorama eingeschränkt. Eine Bühne wurde aufgebaut, Lautsprecher getestet, die Kulisse aus Gotik, Renaissance und Barock verhüllt von Technik. Trotzdem spürten wir die historische Bedeutung des Platzes. Er war seit Jahrhunderten Herz und Bühne dieser Stadt.

Nicht weit entfernt: der berühmte Manneken Pis. Der kleine Brunnenjunge stand heute leider nicht nackt in der Brunnenschale, sondern war in ein blaues Rüschenoutfit mit allerlei Accessoires gekleidet. Fast ein wenig traurig, denn das Original – der nackte kleine Junge, der unbekümmert Wasser lässt – verkörpert auf seine eigene Art die belgische Gelassenheit. So aber wirkte er verkleidet, beinahe verloren.

Die vielen Schaufenster der Chocolaterien, Pralinenmanufakturen und Waffelstände verlockten uns, doch wir widerstanden. Unsere Lust auf Süßes war gestillt, unsere Gedanken voller Eindrücke. Stattdessen traten wir den Rückweg an.

Diesmal wählten wir die ausgeschilderte Rad-Autobahn. Eine breite, sichere Strecke, abseits des Verkehrs, durch das Hafengebiet, entlang großer Wasserstraßen. Beeindruckend waren die riesigen Zugbrücken, die sich bei Bedarf hoben, um den mächtigen Frachtschiffen Durchlass zu gewähren. Technik in Bewegung. Das Surren der Reifen auf dem glatten Asphalt, das Glucksen des Wassers, das Knarzen der sich hebenden Brücke – es war fast wie Musik.

In Brüssel herrscht ein anderes Radverhalten als in Deutschland. Lastenräder mit zwei oder drei Kindern vorne sind allgegenwärtig. Meist massive Räder, oft der Marke Riese und Müller. Sie gleiten durch die Stadt, während parkende Autos zum Randphänomen werden. Der Nahverkehr wird durch Räder bestimmt. Es war beeindruckend zu sehen, wie das Radfahren hier zur Lebensart wurde.

Zurück am Campingplatz kehrten wir in eine kleine Pizzeria in der Nähe ein. Der Duft von Knoblauch, geschmolzenem Käse und frischen Tomaten begrüßte uns schon auf der Straße. Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster, ließen die Wärme auf uns wirken und bestellten zwei klassische Pizzen, dazu ein Glas Wein. Wir redeten nicht viel. Es war einer dieser Abende, an denen man nur noch fühlt.

Wir spürten das Ende unserer Reise nahen. Es war der letzte Abend im Ausland, und er war warm, würzig, ruhig. Belgien hatte uns überrascht, herausgefordert und schließlich auch beschenkt. Und während wir durch das Fenster in die Dunkelheit blickten, waren wir uns einig:

Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub.

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