Kämpferherzen am 26.07.2025 in Kassel

Ich besuchte heute am 26. Juli 2025 das Kämpferherzen-Treffen in der Kasseler Stadthalle, einem Ort, der durch seine Weitläufigkeit, seine barrierearme Architektur und die unglaubliche Energie seiner Besucherinnen und Besucher geprägt war. Die Veranstaltung war mir durch eine Anzeige auf Instagram aufgefallen. Neugierig geworden, informierte ich mich im Vorfeld auf der Website der Kämpferherzen über den Sinn und Zweck dieser besonderen Begegnung: Ein Ort der Hoffnung, der Gemeinschaft, der Sichtbarkeit für Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen. Und es wurde sehr schnell klar, dass dies nicht einfach nur ein Messe-Tag war. Es war ein bewegendes, zutiefst menschliches Ereignis.

Bei meiner Ankunft gegen 11:30 Uhr war das Gelände bereits gut besucht. Am Eingang wartete eine kleine, geordnete Schlange. Die drei Mitarbeiter am Einlass Teil eines über den Tag verteilten Helferteams, von fast 20 Personen, empfingen mich mit offener Freundlichkeit, beantworteten erste Fragen und halfen dabei, sich in der weitläufigen Anlage zu orientieren. Vom Haupteingang aus verteilten sich die Ausstellungsflächen über mehrere Ebenen und durch große Flure hinweg bis zu den Vortragssälen in der unteren Etage. Oben auf der Freifläche waren Essensstände aufgebaut, darunter ein Foodtruck mit biologischen Produkten und die Messegastronomie des H-Hotels. Besonders berührte mich die Möglichkeit, sich Essen nicht nur bestellen, sondern auch pürieren lassen zu können, damit auch Menschen mit Kau- und Schluckbeschwerden nicht ausgeschlossen waren. Es war diese stille, selbstverständliche Inklusion, die mich immer wieder tief beeindruckte. Alles war durchdacht, menschlich, nah.

Und dennoch, trotz aller Bemühungen, wurde mir auch klar, dass selbst breitere Aufzüge nicht verhindern konnten, dass Rollstuhlfahrer beim Etagenwechsel lange warten mussten. Es bildeten sich immer wieder Rückstaus, Menschen mit Hilfsmitteln standen geduldig, manchmal auch erschöpft, in der Warteschlange. Und doch sah ich keine Klage. Im Gegenteil: Ich sah Mut. Ich sah Wärme. Ich sah Menschen, die sich nicht in ihrer Einschränkung verlieren, sondern sich gegenseitig Kraft schenken.

Die Ausstellerzahl war überwältigend. Über 50 Stände waren auf dem Gelände verteilt. Es gab Informationsmaterial, Gespräche, Workshops, Mitmachangebote. Große Pharmaunternehmen wie Novartis, Sanofi, B. Braun, Pfizer, Bayer oder Roche zeigten ihre neuesten Entwicklungen in der Versorgung von chronischen Erkrankungen, Prothetik, Schmerztherapie oder Medikamentenverabreichung. Die Hallen wirkten nicht wie ein Ort der medizinischen Kälte, sondern wie eine lebendige, atmende Gemeinschaft aus Fachwissen und Mitgefühl. Ich durfte erleben, wie Sanitätshäuser verschiedenste Prothesen vorstellten, vom kunstvoll gearbeiteten Arm mit feinfühliger Greifhand bis zur zierlichen Kinderhand. Besucherinnen und Besucher konnten Hilfsmittel wie Stomabeutel, Katheter oder Alltagshilfen nicht nur sehen, sondern auch anfassen und vergleichen. Es wurde mit Respekt beraten, ohne Druck, dafür mit großem Ernst und Feingefühl.

Immer wieder begegneten mir Sprüche, die in bunten Buchstaben auf Bannern oder Flyern geschrieben standen: „Du bist nicht allein.“  „Gemeinsam schaffen wir das.“  „Es kann jeden treffen. Wir helfen dir.“ „Du bist genug.“ Sie begleiteten mich wie ein leiser Chor durch den Tag, wie ein Mantel, der sich wärmend über alle Besucher legte. Und so wurde auch ich als Außenstehender in diesen Raum der Offenheit hineingenommen, als wäre ich Teil davon.

Besonders bewegend war mein Gespräch mit Lena, einer jungen Frau, die am Lipödem leidet. Ich fragte sie, wie sich ihre Beeinträchtigung im Alltag zeige. „Stell dir vor, du wachst jeden Morgen mit schweren Beinen auf, als würdest du Betonblöcke mitschleppen“, sagte sie. „Treppensteigen schmerzt, selbst längeres Stehen ist kaum auszuhalten. Ich brauche Kompression, Bewegung, Therapie und doch bleibt das Gefühl, dass der Körper nicht mein Verbündeter ist. Aber hier, hier weiß ich, ich bin nicht falsch. Ich bin einfach nur ich. Und das reicht.“ Während sie sprach, war ihre Stimme fest, aber ihre Augen glänzten. Ich schwieg lange. Manchmal ist Schweigen das größte Zeichen von Respekt.

Ich lernte viele Erkrankungen kennen, von denen ich zuvor noch nie gehört hatte. Die Krankheit ME/CFS – die Myalgische Enzephalomyelitis, auch Chronisches Fatigue-Syndrom genannt ist eine schwere Multisystem-Erkrankung, bei der selbst kleinste Anstrengungen zu dramatischen Zustandsverschlechterungen führen können. Menschen mit ME/CFS führen oft ein Leben im Verborgenen, im Dunkeln, zurückgezogen weil schon ein Gespräch, ein Geräusch, ein Licht zu viel sein kann. Hier, auf diesem Treffen, war ihre Stimme hörbar. Endlich.l

Die Selbsthilfegruppe Lily Bell Nordhessen, die sich für Menschen mit Lymph- und Lipödem engagiert, war mit einem Informationsstand vertreten.  Sie erklärten geduldig, klärten auf, vermittelten Kontakte. Auch sie waren ein Teil des stillen Netzwerks, das diesen Tag so besonders machte.

Es gab zudem eine Selbsthilfegruppe für Schlafkrankheiten, für Migräne, für Menschen mit Organspende-Erfahrungen, für Betroffene mit psychischen Erkrankungen, für Eltern von Kindern mit Behinderungen. Immer wieder wurde klar: Hier wurde niemand ausgeschlossen. Hier war Platz für jedes Schicksal. Es gab sogar die Möglichkeit, sich ein Tattoo stechen zu lassen. Fünf Plätze waren eingerichtet, viele ließen sich Motive stechen, die Mut machten, Erinnerung bedeuteten, Identität markierten. Es war mehr als Körperkunst. Es war ein Bekenntnis.

Die Freiflächen füllten sich zur Mittagszeit. Um etwa 14:30 Uhr standen viele Menschen an den Cateringständen an. Und dennoch war die Stimmung ruhig, freundlich, gelassen. Der Geruch von frisch aufgepopptem Popcorn zog durch das Gebäude. Kinder lachten. Menschen in Rollstühlen lachten. Menschen mit Sauerstoffgeräten, mit Prothesen, mit Gehhilfen, sie alle lachten. Ich sah Menschen, die sich auf früheren Symposien kennengelernt hatten, die sich lange umarmten, sich weinend in den Armen lagen. Der Schmerz war da und doch war die Freude größer.

Ich fragte mich, wo die Vertreter der öffentlichen Verwaltung waren. Ich suchte nach denen, die Inklusion in Reden fordern, in Leitlinien schreiben, auf Plakaten proklamieren. Ich fand sie nicht. Ich fragte mich, warum lokale Selbsthilfegruppen fehlten ob ihnen die Einladung fehlte, die Zeit, die Mittel, das Personal? All diese Fragen brannten mir im Kopf, weil ich in den Augen der Menschen sah, wie sehr sie es verdient hätten, gehört, gesehen und verstanden zu werden.

Die Helferinnen und Helfer, an ihren schwarzen T-Shirts mit dem Logo gut erkennbar, waren allgegenwärtig. Sie beantworteten Fragen, zeigten Wege, halfen beim Tragen von Taschen, schenkten ein Lächeln. Es war ein Dienst aus dem Herzen, und er verdient an dieser Stelle ein aufrichtiges Danke.

Am Ende des Tages verließ ich die Stadthalle mit einem Herzen voller Eindrücke, Demut und Dankbarkeit. Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist, einen schlechten Tag zu haben. Dass es Menschen gibt, die mit so viel mehr kämpfen und dabei so viel Licht in die Welt bringen. Ich habe gelernt, dass der Alltag durch die kleinen Dinge groß wird ,eine hilfreiche Hand, ein ehrliches Gespräch, ein gemeinsames Lachen.

Ich wünsche den Organisatorinnen und Organisatoren von Herzen, dass es ein nächstes Mal geben wird. Mit vielleicht noch mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmern, noch mehr Ausstellern, noch mehr Begegnung. Denn diese Veranstaltung ist mehr als ein Symposium. Sie ist ein Ort des Aufatmens, des Dazugehörens, der Menschlichkeit. Und in einer Welt, die so oft laut, hektisch und oberflächlich ist, ist genau das ein Geschenk, das wir bewahren sollten.

Lasst uns dankbar sein für das, was wir haben. Lasst uns hilfsbereit sein gegenüber jenen, die Hilfe brauchen. Lasst uns selbstbewusst auftreten, aber niemals überheblich. Und lasst uns vertrauen in die Kraft der Gemeinschaft, in die Würde jedes einzelnen Menschen, in das Herz, das kämpft und doch niemals aufhört zu lieben.

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